interview in "navigationen. siegener beiträge zur medien- und kulturwissenschaft"

gesprächspartner: céline kaiser und alexander böhnke

K: Das Stück Wir schlafen nicht ist zuerst abgedruckt worden im Heft der Theater heute vom März 2004.[1] Im gleichen Heft befand sich ein längerer Artikel über die Arbeitswelt Theater.

R: Diese Forschungsarbeit von der Universität Hamburg?

K: Ja genau. Man hat dort das Verhältnis von Ich-AG und Arbeitskraftunternehmerschaft und dem Theater erforscht. Die Idee war, dass das Theater der Prototyp eines Beschäftigungsverhältnisses sei, gekennzeichnet von befristeten Arbeitsverträgen, einer erhöhten Eigenverantwortung des Arbeitnehmers für seine Karriere und seine Alterssicherung und zugleich mit all diesen Beschreibungen von Kreativität, Authentizität usw. ausgestattet. Was meinst Du zu diesem Blickwinkel?

R: Ich finde es schon problematisch, wenn man so eine hegemoniale Umkehrung macht. Ich denke, dass der Theaterbetrieb und die Schauspieler nicht wirklich die Peergroup der Gesellschaft sind, also das gäbe dem Theater ein viel zu hegemoniale Bedeutung, sondern dass es sich eher umgekehrt verhält, also dass ein gewisser unternehmerische Typus der new economy für das Theater als Modell dienen. Die Arbeitsformen, die da herrschen, färben auf alles ab. Also wenn man genauer hinschaut, scheint es so zu sein, daß diese Arbeitsformen auf die künstlerische Arbeit übertragen werden. Traditionellerweise bist du als Schauspieler ein Angestellter in einem Betrieb, in einem Stadttheater, der eine kreative Aufgabe gestellt bekommt und kein Selbständiger. Das ginge an der Realität ein bisschen vorbei. Ich fand diesen Artikel aber sehr interessant, weil er für mich umgekehrt gezeigt hat, dass das künstlerische Feld nicht ausgespart bleibt. Die Übertragungen finden eher umgekehrt von diesen Feldern der New Economy, von den Leuten aus den Unternehmensberatungen und des Managements auf diverse andere Felder wie dem der Politik und des zivilen Lebens statt.

K: Würdest du denn sagen, dass sich die Rhetoriken da auch fundamental unterscheiden? Ich fand es interessant an dem Artikel, dass er gezeigt hat, dass es Parallelen in der Strukturierung der Arbeitsfelder gibt, die jedoch nicht als solche akzeptiert werden. Der Theaterjargon geht eher von einer selbstkritischen und freien Position aus. Man identifiziert sich nicht mit der Rhetorik des Managements, doch die Untersuchung zeigt, dass die Grundstrukturen zum Teil ähnlich sind.

R: Ich würde in diesem Zusammenhang etwas weiter zurückgehen. Ich habe mich mit Foucault beschäftigt, der das eher von einer epistomologischen Ebene angeht, mit seinem Begriff der Gouvernementalität und mit der Frage, welche Form heute Subjektivität annimmt und was das mit Selbstregierungstechniken zu tun hat. Um noch einmal speziell auf neoliberale Strukturen zu kommen: Wie dort das Bild von Subjektivität Herrschaftsinstrument geworden ist, welches dem Einzelnen die Verantwortung zuspricht und ihn durch Identifikation stärker bindet – er soll commitment zeigen. Wie sich diese gouvernementale Struktur in der Managementliteratur wieder findet, wird in dem Buch von Sven Opitz[2] beschrieben, d.h. die Techniken werden von ihm erläutert. Und der fängt wiederum damit an, eine historische Entwicklung von Regierungstechniken aufzuzeigen, die eben heute sehr viel mit Selbstregierungstechniken zu tun haben, also auch diesen ganzen Innerlichkeitsgeschichten. Das fand ich interessant und ich glaube, auf dieser Ebene wird Unternehmensberatung tonangebend für die Gesellschaft. Nicht nur für Manager gelten Kriterien der Effizienz. Für Politiker auch. Und Rechtspopulisten wie Jörg Haider oder Berlusconi, die immer eine seltsame Vermengung von Geschichtslosigkeit und scheinbar konservativen Werten (z.B. ein bestimmtes Familienbild) ausagieren, sie müssen sich als flexibel und ständig dynamisch und effizient darstellen. Das fand ich interessant, und ich hatte immer ein Unbehagen, wenn es hieß, dass die Künstler diejenigen waren, die das zuerst benutzt haben, als hätten sie das Übel in die Welt gebracht, bzw. wäre es noch dasselbe. Es hängt doch immer vom Kontext ab. Die ganze Rede vom artistischen Manager, von Philosophie, von Kreativität: das wird alles betriebswirtschaftlich vereinnahmt.

K: Ich finde es gerade interessant, wie solch eine Übertragung stattfindet. Wenn Rhetoriken übertragen werden in einen anderen Bereich, was macht es für einen Unterschied?

R: Das hat Konsequenzen. Man könnte zunächst denken, es hat etwas Aggresives, aber es gehört einfach zum Wesen der Sprache, dass Begriffe wandern und vereinnahmt, neu besetzt und neu definiert werden. Und so ist es einfach schwierig, jetzt noch von Kreativität zu sprechen.

K: Ich fand deinen Kluge-Text[3] auch sehr interessant. Siehst Du ein Verhältnis zwischen Eigensinn und Ich-AG?

R: Ich-AG klingt erstmal nach einem juristischen Begriff, der eine gewisse Unternehmensform, eine kapitalistische Organisationsform bezeichnen soll, die aber so gar nicht existieren kann; es gibt ja keine Ich-AG. Es ist eine Anleihe aus diesem Bereich und verweist auf eine sehr drastische Weise auf die Verlegung von gesellschaftlichen Organisationsformen in die einzelnen Subjekte. Im Grunde meint es die Verabschiedung eines Vergesellschaftungsgedankens. Und Eigensinn gehört gar nicht in diese Ebene und kommt aus einem ganz anderen Diskursbereich. Bei Kluge geht es immer um die menschliche Erfahrungsebene, die er sehr hoch ansiedelt. Gegen die Macht der Abstraktionen konstruiert er den Eigensinn als einen Erfahrungsbereich, eine Gegenmacht. Typisch ist ja seine Erzählung von dem Soldaten, der sich 1939 verliebt und diese Liebesgeschichte 1954 fortsetzt. Da gibt es die persönliche Ebene und die Weltgeschichte, die dazwischen tritt. Das sind immer so antagonistische Kräfte. Ich habe jetzt gerade seine Reden wieder gelesen,[4] da kommt der Begriff vor „Die tödlichen Abstraktionen“, das ist ein ganz negativer Begriff.

B: Die Ich-AG, wäre das nicht ein Modell, das versucht den Eigensinn auch noch zu vereinnahmen?

R: Da fällt mir die Ich-Ressource ein, ein Begriff, den man diesbezüglich immer hören kann. Ja, die Ausbeutung des Subjekts wird vorangetrieben, immer weniger Bereiche bleiben davon unberührt.

K: Die Frage ist ja, ob man in Zeiten der Ich-AG noch in Kategorien von Eigensinn denken kann. Oder führt das zu einer völligen Überfrachtung?

R: Auf alle Fälle kann man das. Eigensinn heißt auch noch was anderes, nicht nur Subjektives. Kluge spricht ja auch vom Eigensinn der Zellen und der Darmflora. Da gibt es diese Geschichte, von dem US-Bomber im Irak, der die Bomben auf die Hochzeitsfeier nicht abwirft, sondern, weil er jetzt Durchfall hat, sein Flugzeug verreißt. Das heißt, die Darmzellen sind klüger. Und was auch sonst alles mitarbeitet beim Eigensinn: man nimmt ja die ganze Evolution mit rein, das Archaische, das Reaktionäre. Der Erfahrungsbegriff ist nicht eingebunden in kapitalistische Verwertungszusammenhänge.

K: Ich möchte noch eine Frage zur Bedeutung der Stimmen stellen. Wenn man Rhetoriken beobachtet, ist es dann sozusagen eine logische Konsequenz, dass man Stimmen montiert? Ist das eine Art Destillat?

R: Das würde ich nicht sagen, bzw. ich habe das nicht immer so gemacht. Im Fall von „wir schlafen nicht“ hat das zunächst mal etwas zu tun mit Geistergeschichten, die ja sehr viel über Akustik funktionieren. Also es hat etwas mit dem Akustischen zu tun, mit der Entkörperlichung, die man empfindet, wenn man beispielsweise nur Stimmen auf Band hört, aber keine Menschen dazu sieht, was dann nochmal übersteigert wird, durch die indirekte Kolportage. Und es hat etwas mit dem Mündlichen zu tun, damit dass sich Mündlichkeit auch immer auf eine Art Vertrauen gründet. Kluge hat das auch gesagt. Da muss immer ein Grundmoment drin sein, wenn ich mit jemanden spreche, eine Art Vertrauen oder Gerichtetheit. Ich will verstanden werden. Ich will mich auf dich beziehen. Das war für mich auch für die Rechercheform wichtig, wie ich in diesem Bereich mit dem Thema umgehen kann. Über das Gespräch nämlich eine Reibung zu bekommen, zwischen den Ideologien und der Erfahrung ... Wenn ich jetzt Managementtexte nehme, dann ist es die pure Ideologie. Ich durchschaue sie sofort, denn es ist eine Glaubensfibel, die ich einfach lesen kann. Das ist ja dann relativ langweilig, wenn ich nicht etwas Wissenschaftliches dazu mache. Lese ich diese Literatur, dann erfahre ich eigentlich überhaupt nichts über die Realität, über das, was wirklich Alltagserfahrung ist, die ganzen Geschichten, die Anekdoten, diese Partikel, die plötzlich durchscheinen. Da ist dieser Riss zwischen dem, was man wirklich glaubt und dem, was man sich einredet und dem was man erfährt.

K: Ideologien und Rhetoriken sind ja vielleicht noch zwei verschiedene Sachen. Wobei der Begriff Rhetoriken mehr umfasst als das, was man aus der Managementliteratur herauslesen kann, sondern eben auch genau diese Alltagserfahrung und diesen Antrieb sich in Diskurse einzuschreiben und eine Position zu markieren.

R: Der Ideologiebegriff, den ich hier anwende, bezeichnet eine Struktur und auch bestimmte Formen von Interessen – jetzt nicht unbedingt im klassischen Sinne Links- oder Rechtsideologie als geschlossene Weltsysteme, aber umgekehrt auch kein alleine Individuelles. Wenn ich mir jetzt die Rhetoriken angucke, wie ich das für Fake Reports zum 11. September auf einer medialen Ebene gemacht habe, so geht es auch nicht um konkrete Einzelinteressen, sondern um die Frage, wie mit gewissen Verfahren und Techniken politische Interessen durchgedrückt werden, wie sich ein kollektives Bewußtsein nach und nach verschiebt. Und das hat viel mit Interessensverschleierung zu tun. Aber es ist eben ein sehr weiter Ideologiebegriff im Gegensatz zu einem klassischen marxistischen.

B: Wie sah die Struktur deiner Interviews aus? Die Online-Redakteurin sagt an einer Stelle im Roman „solche typen wie den müsste man ausreden lassen. irgendwann landeten die immer dort, wo man sie haben wolle. ‚aber wenn du sie unterbrichst, bietest du ihnen angriffsflächen (…)’.“[5] Hast du daraus gelernt? Und deine Interviews dementsprechend gestaltet? Gab es von Anfang an einen Schlachtplan?

R: Die Online-Redakteurin gibt es so nicht, die ist ja fiktiv. Und was diese Aussage angeht - das war eher schon so eine Art Erfahrung von mir. Es ist schwer von einem Schlachtplan zu sprechen, weil die Gespräche und die Recherchen sich letztendlich über ganze drei Jahre hinzogen und dann gleichzeitig stattfanden zum Schreibprozess, also der ästhetische Prozess mit dem Rechercheprozess einherging. Das war quasi dialogisch. Die letztendlich wichtigen Gespräche habe ich über eine ziemlich lange Zeit von Ende 2001 bis Frühsommer 2003 geführt. Aber ich hatte schon eine grundlegende Haltung gehabt, also jetzt nicht als eine Art Ankläger aufzutreten, das wäre ja auch absurd, dann bräuchte ich das Gespräch nicht zu führen, sondern ich habe ihnen viel Raum für ihre Erzählungen gegeben. Anfangs habe ich nur fast unmerklich nachgehakt, oder das Gespräch gelenkt, wenn man so will. Meine Eingriffe wurden dann gegen Ende stärker, also da habe ich intensiver nachgehakt, wenn ich auf einen Widerspruch zu stoßen schien oder war konfrontativer. Da wusste ich dann auch, was ich brauche, was ich wissen will. Auf mehreren Ebenen hat sich die Arbeitsweise auch verändert… Diese Haltung könnte man als hysterische Affirmation bezeichnen, also auf eine Weise wollte ich die Gesprächspartner in ihre Rhetoriken hineintreiben, zu einer Art Essenz dieses Diskurses zu kommen, d.h. sie durch Affirmation stärker in die Risse und Widersprüche des Diskurses zu treiben. Also es ging ja bei dieser Arbeit um Überzeugungsstrukturen: Wenn man da keinen Widerstand reinsetzt und sie so hineintreibt, entstehen schneller Kippmomente. Zunächst erzählt dir jeder einmal, wie toll es ist, wie spannend es ist und was man alles machen kann. Und selbst wenn du sie bestärkst, kommt dann irgendwann recht schnell dieser Kipppunkt, an dem das alles abstürzt. Das ist ein typisches Moment in der Gesprächsdramaturgie. Vor kurzem habe ich mich wieder mit Hubert Fichte beschäftigt, also speziell, wie der Gespräche geführt hat. Bei ihm hat das eine stärker inquisitorische Komponente, die etwas unterschwellig Aggressives hat. Es wird keine direkte Konfrontation gesucht. Unterschwellig heißt, sie da reinzutreiben und direkt nachzuhaken, bis dann so ein Moment kommt, wo denen selber auffällt, das etwas nicht stimmt, aber was sie dann erkennen, hängt dann eben doch sehr viel mit dem zusammen, was man selbst als Interviewer denkt, also die eigene Position.

Das ist vielleicht das Wesen von Interviews, der Wunsch, an die Punkte, die immer verdeckt werden, zu kommen, und am Ende vieles von sich selbst wiederzufinden. Aber grundsätzlich finde ich schon, dass heute in vielen öffentlichen Diskursen Widersprüche und Interessen verdeckt werden, stärker als früher, und halte das für eine Aufgabe, dem nachzugehen...

B: Das Interview als Form ist an sich gekennzeichnet durch einen Wechsel der Sprecherpositionen. In wir schlafen nicht tilgst du aber die Fragen aus deinem Text und gibst dadurch den fremden Stimmen fast den ganzen Raum. Auf der anderen Seite sind die Stimmen durch die indirekte Rede wieder in einen anderen Diskurs überführt. Also wieder eingemeindet?

R: Ja, die Erzählerfigur hält sich bedeckt und gibt sich nicht zu erkennen. Das ist sozusagen eine negative Horizontlinie und das war auch so die Grundidee des Ganzen. Eben ein Gespensterroman. Mit dämonischen Figuren darin, Zombies, und die am meisten dämonische Figur ist die des Erzählers, die sich dann auch noch verändert. Am Anfang scheint es eine Journalistin zu sein, die etwas fragt. In der Mitte werden die befragten Figuren ein bisschen unsicher, scheinen teilweise sich selbst überlassen zu sein oder wollen ihr Gegenüber auch benutzen für ihre strategischen Interessen in der Gruppe bzw. beziehen sie mit ein, es passiert ja einiges, erst gegen Ende wehren sie sich gegen die fortdauernde Art der Befragung. Ich wollte es nicht so machen, dass „da drüben“ die Consulter sind, „die Arschlöcher“, zu denen man sagt, „die schauen wir uns jetzt mal an“, und auf der anderen Seite, wir, die moralisch besseren Wesen, die wir uns fernhalten können. Es ist vielmehr so, dass mich dieses Phantasma Unternehmensberatung interessiert hat. Also was das auch mit uns macht, welche Vorstellungen wir damit verbinden, also die gesamtgesellschaftliche Energie, die da drin hängt. Die Erzählerfigur ist eine Art Übersetzungsorgan.

K: Jedes Interview ist eine vorbereitete Geschichte mit einer Szene, in der es stattfindet. Es ist kein rohes Faktum, das man erst nachträglich anfängt zu bearbeiten. Aber es gibt natürlich verschiedene Ebenen das zu bearbeiten und verschiedene Formen.

R: Ja.

B: Dieses Interview steht im Kontext eines Themenheftes von Navigationen zu den Phänomenen Ghostwriting und Beratung. Dabei geht es um eine bestimmte Art von Wortführerschaft, die ein bestimmter Diskurs vorantreibt. Ghostwriter sind natürlich etwas anderes als Berater. Aber beides sind Hintergrundfiguren. Ich würde gerne etwas von dir hören zur Frage nach der Eingemeindung der Stimmen in deinem Diskurs. Bist du Bauchrednerin oder Medium?

R: Es hat etwas vampirhaftes. Es wäre dann eher die Bauchrednergeschichte, aber eine vampirhafte Bauchrednerfigur, weil es die Lebendigkeit des anderen aufsaugt, also eine Art Lebendigkeitssurrogat. Und da kommt auch das Thema des Phantasmas wieder herein, insofern es eine Begierde nach diesen Erzählformen, diesen Rhetoriken gibt und man in diesen Stimmen eine Art Nahrung oder Motor für sich entdeckt. Es ist eine schwierige Frage, weil sie verschiedene Ebenen betrifft: eine formale Ebene, das ist der akustische Raum, und dann dieser inhaltliche Beratungsdiskurs, wo es um Effizienz geht, der neoliberale Gouvernmentalitätsdiskurs. Eine andere Frage ist, was zwischen Mündlichkeit und Schrift passiert. Es handelt sich um eine Hybridisierung des Verhältnisses, um eine Übertragung von Mündlichkeit, von Akustik in Text. Da arbeite ich ja auch mit den Effekten, mit einer Inszenierung von Mündlichkeit.

Auch die Frage nach dem Dokumentarischen und dem Fiktionalen spielt, wie bei Kluge, eine Rolle. Der macht es ja so, dass etwas ausschaut wie ein Fakt, aber in Wirklichkeit total erfunden ist und etwas über die Wünsche mitteilt. Er beschreibt es ganz gut mit der Frage, was Realismus ist. Was zwitterhaftes, einerseits die realistische Haltung und dann deren Wurzel. Denn das Motiv der realistischen Haltung ist der Protest, der Antirealismus.

B: In Besprechungen deines Textes gab es Irritationen wegen der Genre-Zuschreibung als Roman. Es gibt aber Konzeptionen des Genres, z.B. bei Bachtin, wo gerade das Dialogische, das Vielstimmige dasjenige ist, was den Roman auszeichnet. Würdest du dich in so eine Tradition der Polyphonie einschreiben?

R: Volker Schmidt hat sich in seiner Magisterarbeit über „Abrauschen“ diesbezüglich auseinandergesetzt, und das fand ich dann schon plausibel. Ich selbst habe mich jetzt mit Bachtin nicht eingehender beschäftigt. Aber es ist ja auch die Frage, was man unter einem Roman versteht. Wenn man sich die Literatur der letzten hundert Jahre anschaut, funktionieren Romane selten nach dem klassischen Schema, welches heute wieder im Feuilleton verlangt wird. Also bei mir wird das ständig in frage gestellt, ob es ein Roman oder nicht. Aber „wir schlafen nicht“ ist ja eben nicht irgendeine Erzählung, es ist nicht eine Novelle, es ist nicht einfach Prosa, weil es schon um eine Entwicklung geht. Es gibt ja eine Art Architektur, die durch den Text geht, und eine Art Dramaturgie. Insofern Roman.

Aber im Grunde liebe ich so Zwitterfiguren. Das Ambivalente. Und ich habe es durchaus auf einer medialen Ebene ausprobiert, ob es ein Roman sein kann oder ein Stück oder ein Hörspiel. Und ich bin für mich nach all diesen Geschichten ganz klar zu dem Punkt gekommen, dass es in der Romanform am ehesten seinem ästhetischen Programm entspricht. Eben ein Roman, der so tut, als sei er ein Theaterstück, weil man immer das Gefühl hat, man liest einen dramatischen Text, aber je länger man ihn liest – und das ist meine These –, kommt man in eine beinahe schon epische Struktur rein. Es hat etwas zu tun mit diesem Gegenüber, der Erzählerfigur, die etwas auf eine Horizontebene hin organisiert, was ja überhaupt sehr untheatralisch ist. Man müßte dann eben wieder eine theatrale Übersetzung für die Erzählerfigur finden, und das haben sie in der Düsseldorfer Inszenieurng nicht gemacht, also ist das dann auch so ziemlich rausgefallen. Aber letztendlich interessieren mich eben diese ganzen Genrebezeichnungen kaum, wo man nur Behauptungen macht, wie es am besten funktioniert, sondern vielmehr das Zusammenbringen, die Hybridisierung von Genres und auf eine Weise auch Medien.

K: Gerade das Dialogische ist ja irgendwie eine Steilvorlage für eine Inszenierung. Weil genau die Gefahr besteht, dass das nicht funktioniert. Wie in Düsseldorf. Da gibt es die Gefahr eines Ironieverlustes. Das Schwierige ist ja gerade, dass man verschiedene Dinge machen muss: eine Verräumlichung, eine Anbindung an Figuren, denen man eine Geschichte gibt, alles Bewegungen gegen die Form deines Textes.

R: Ja das ist auch der Grund, warum ich im Moment glaube, dass die Buchform besser funktioniert. Weil da etwas verloren geht und ich dafür etwas anderes einsetzen muss. Ich finde trotzdem, es könnte interessant sein als Stück, ich würde nicht sagen, dass man es nicht machen kann. Es war schon meine Überlegung, ich probier mal aus, wie es auf der Bühne ausschaut und wie es als Hörspiel aussieht. Einfach um auszuprobieren, was damit passiert. Die Konzeption des Ästhetischen hatte ich schon lange, die hatte ich seit 2001/2002 im Winter, da wusste ich schon, dass es so laufen würde. Letztendlich habe ich dann 2003 mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus, das das Stück unbedingt machen wollte, gesprochen. Es war auch die Idee eine gewisse Gleichzeitigkeit mit dem Erscheinen des Romans zu schaffen. Ich wollte die Leute an der Nase herum führen, wollte, dass die Frage auftaucht: Was ist das jetzt? Ist das ein Stück? Ist das ein Roman? Ich wollte eine Art Unsicherheit schaffen. Letztendlich hat sich aber für mich gezeigt, dass es in Buchform am besten funktioniert. Das hat eben was mit der Entsubstanzialisierung der Stimmen zu tun.

B: Steht hinter der Montageform eine bestimmte Sprachauffassung, die eben nicht das Modell Schöpfergenie oder Kreativität bedient?

R: Ich würde damit eher ein Sprachmodell zum Ausdruck bringen. Ich kann weder mit dem Begriff Genie noch mit völlig gegenteiligen Behauptungen etwas anfangen. Schließlich bin ich in gewissem Sinne Architektin des Textes. Der Materialbegriff ist ein anderer. Ich gehe weniger von einer souveränen Sprecherposition aus, sondern von der Derrida- oder Butler-mäßigen Position. Wir werden konstituiert durch Sprache, es gibt immer eine Iterabilität, eine Vorgängigkeit der Sprache. Ich glaube nicht an eine Innerlichkeit, die ich erreichen will, wenn ich schreibe. Mich interessiert gerade das Gesellschaftliche, das Soziale.

K: In einem Interview hast du gesagt, dass die Ambivalenz ein wichtiger Begriff für dich ist. Was heißt das für dich?

R: Wenn man das Buch Hass spricht[6] von Butler liest, dann merkt man wie komplex die Sache ist. Wenn man jetzt nur sagt, dass das Subjekt der Effekt des Diskurses oder der sprachlichen Situation ist, dann liegt die Ambivalenz genau darin, dass man das nicht entscheiden kann. Konkret erlebt man das dann etwa bei diesen Kipp-, diesen Spannungsmomenten in den Interviews.

K: Finden die auf der Ebene des Materials statt oder hängen sie mit deiner Arbeitsweise zusammen?

R: Ambivalenz hat immer etwas von nicht-bewusstem Stil, so eine Art Ausgesetztheit, die natürlich da ist. Aber wenn ich arbeite, dann wende ich Techniken an. Wenn ich ein Interview mache, dann ist es nicht so, dass ich das vorbereite, führe und dann abtippe. Ich mache das z.B. zunächst so, dass ich aufschreibe, was mir von den Gesprächen in Erinnerung geblieben ist, oder wie es mir mit dem Gespräch gegangen ist. Da kommt schon so was Subjektives rein. Das mit dem Subjektiven ist ganz schön teuflisch. Denn wenn ich ein Gespräch nachher höre, fällt mir auf, dass ich in der Sprechsituation gar nicht so präsent war. Dass ich immer sehr auf einen imaginären Gesprächsverlauf fixiert war, auf meine Fragen und auf eine Weise gar nicht richtig zugehört habe, bzw. mit viele Dinge entgangen sind.

Durch das Gerät habe ich dann die Möglichkeit, das Ganze noch einmal zu hören. Da erlebe ich dann eine interessante Subjekt-Objekt-Verkehrung.

K: Das finde ich ganz interessant, weil die Wahrnehmung dann so funktioniert wie das Unbewusste des Analytikers, das dem anderen auf der Couch etwas ablauscht. Eine Empfangsstation, durch die erst im Nachhinein verarbeitet wird, welche Spuren eigentlich wahrgenommen wurden.

B: Der Berater zeichnet sich durch eine andere Form der Klugheit aus, ein strategisches Kalkül. Das verdankt sich nicht zuletzt seiner Position, weil er immer Außenseiter ist und deshalb den Blick auf das Ganze richten kann, ohne selbst Teil des ganzen zu sein.

R: Es ist ja nicht so, dass der Berater interesselos ist, dass er einfach so in eine Situation hinein geht. Er ist im Grunde auch immer involviert. Nur zeigt sich das vielleicht anders. Beispielsweise muss er ja schon in seiner Arbeit drei verschiedene Parteien verbinden: das eigene Unternehmen, den Vorstand des Kundenunternehmens und die einzelnen Abteilungen dort. Das sind drei sehr unterschiedliche, sich oft widersprechende Positionen – oftmals hängt noch eine Bank dazwischen. Der kommt da jetzt nicht rein und sieht die Situation objektiv, sondern hat von Vornherein schon sein Interesse. Aber natürlich hat es auch eine andere Seite. Er trifft eine komplexe Situation an, die sich für die anderen nach und nach entwickelt hat. Das ist ein anderer Erkenntnisprozess. Denn er kommt rein und sammelt in großer Geschwindigkeit Daten und er ordnet die gleich so zu, wie er sie braucht. Aber es ist auch keine objektive Beschreibung irgendwelcher obektiver betriebswirtschaftlichen Vorgänge, sondern er kommt schon mit seiner betriebswirtschaftlichen Theorie rein, mit seiner Gemeinkostenwertanalyse, daher. Es gibt zahlreiche betriebswirtschaftliche Konzepte und er bringt natürlich seine eigenen mit.

B: Es ging mir auch um die supplementäre Position, die er innehat. Er selbst produziert nichts, nur einen Diskurs, eine Beobachtung des Unternehmens. Dadurch ist er immer wieder außen. Er präsentiert dem Unternehmen einen Blick auf sich selbst. Das Unternehmen kauft mit ihm einen solchen Blick.

R: Ja, genau. Das Unternehmen kauft nicht nur einen Blick, es kauft auch oft schon die Lösung. In der Realität ist es oft so: Der Vorstand beschließt, es müssen Leute entlassen werden. Man holt sich eine Unternehmensberatung als Legitimation, weil die es ja dann sagen. Das ist oftmals die Realität. Mir haben es auch Unternehmensberater gesagt: Sie holen sich sonst eine andere Unternehmensberatung ins Haus, die die Entlassungen legitimiert. Den eigenen Blick kauft man sich dann schon fast selber.

K: Ich hab das als totalisierenden Effekt wahrgenommen. Gerade bei der Lektüre, vor allen Dingen von wir schlafen nicht, habe ich den Eindruck gehabt, dass die Figuren entweder auf eine quasi hysterische Art, wie bei der Praktikantin, oder eine paranoide Weise, wie beim Partner, die Position des Beobachters einnehmen. Das scheint mir die logische Konsequenz ihrer Position zu sein. Ist das ein Effekt des Interviews, des Konjunktivs, oder hast du das in den Gesprächen auch so wahrgenommen?

R: Ja, schon, nur man muss ihre extreme Arbeitssituation mitbedenken, und auch, daß es sich hier um eine Messesituation handelt. Das ist ja nicht der normale Kontext ihrer Arbeit. Da gibt es ein ständiges Sich-selbst-Verkaufen, wo man Kunden am Stand empfangen oder Verträge abschließen muss. Wenn Medien kommen, wird das Unternehmen dargestellt bzw. im Kontext des Romans muss man auch sich selber darstellen. Das ist ja die Situation des Romans, wir sind ja nicht in einer Beratungssituation. Das war ja auch eine Grundidee: eine Messesituation. Erst als ich begonnen habe, lange Gespräche zu führen, habe ich an Unternehmensberater gedacht. Vorher habe ich mich eher so an Start-up-Leute, New-Economy-Leute gewandt, aber gerade bei den längeren Gesprächen schienen mir die Berater interessanter. Dieses Sich-selbst-verkaufen-Müssen die ganze Zeit, dieses ständige Überzeugungsprogramm eben verbunden mit dem Beobachtungsprogramm. Das fügt sich wahnsinnig gut ineinander.

K: Dabei entsteht der Effekt, dass es aus diesen Rhetoriken gar keinen Ausweg gibt.

R: Ja. Hast du noch Hoffnung?

K: Ich wollte noch einmal nach dem Raum fragen. Du arbeitest das sehr genau heraus, dass der Raum, der akustische Raum eigentlich eine total enträumlichte Situation ist. Aber: die Praktikantin bewegt nichts so sehr, wie „reinzukommen“. Und in Fake Reports geht es darum, „vor Ort“ zu sein. Und so wird der Raum zu einer total aufgeladenen Kategorie. Das fand ich sehr spannend, weil es eine starke Spannung gibt, wenn der Blick von den Rhetoriken ausgeht. Einerseits ist man in den relativ hermetischen Diskursen – auch der mediale Diskurs ist völlig zirkulär –, befangen und kommt aus ihnen nicht heraus. Man bewegt sich in diesem virtuellen Stimmraum. Andererseits drängt alles zum Raum.

R: Was mich dann auch interessiert ist diese Uneindeutigkeit des Raumes. Ich habe eben auch die Theatersituation angesprochen. Es war total spannend einen Nicht-Raum zu konzipieren, nicht die klassische Bühnensituation zu haben, wo jetzt der Mord passiert, eine Intrige oder so etwas. Eine Eins-zu-eins-Situation, das klassische Modell der Einheit von Handlung und Raum. Hier wird der Ort durchkreuzt. Es ist ein peripherer Raum. Er liegt außerhalb des eigentlichen Geschehens. Das spielt auch eine Rolle in meinem neuen Stück Junk space, das Ende Oktober in Graz aufgeführt wird, in dem es um eine Seminarsituation geht, die aber selbst nicht dargestellt wird. Man ist im Raucherzimmer oder im Gang. Es gibt immer Bezugnahmen auf den Ort. Irgendwann ist man dann tatsächlich an dem Ort, doch dann passiert nichts mehr. Im dritten Akt erst befinden wir uns um Seminarraum. Aber dann ist das, was eigentlich geschehen soll – das Seminar – nicht mehr möglich, weil der Seminarleiter weg ist. Mir scheint es, dass man auf diese Weise sehr viel über unsere alltägliche Erfahrung erzählen kann. Das hat auch mit den gesellschaftlichen Abstraktionen zu tun, denen wir unterworfen sind. Wir haben oftmals das Gefühl, dass man sich gegen die Dinge im Ganzen nicht auflehnen, dass man nichts machen kann. Das sind einfach abstrakte Strukturen, die Macht über unser Leben haben, aber die sieht man nicht, die sind nicht im Raum, das entzieht sich ständig. Das hat auch etwas mit dem Ort zu tun.

K: Es steuert das Begehren, während wir in den Kommunikationen stecken und uns selbst beobachten. Es ist irgendwie die Verheißung. Die natürlich dann auch keine Bedeutung hat, wenn wir angekommen sind.

R: Ich find das jetzt total spannend, dass du das ansprichst. Ich hab mir das so noch nicht überlegt, da kommt der Bogen zurück zu Irres Wetter.[7] Berlin als eine Ansammlung heterogener Orte. Im Buch gibt es einerseits Orte oder Situationen, die aufs Zentrale abzielen und solche, die im Peripheren stattfinden. Es gibt entweder die Inszenierung des Zentralen – Potsdamer Platz – oder diese touristische Inszenierung, die Hauptstadtinszenierung, die schief läuft und dann gibt es diese peripheren Orte. Die klassisch bedeutungsvollen Orte, an dem reale Situation und Inszenierung ineinanderfallen, die tauchen nicht auf. Gibt es vielleicht auch nicht mehr.

B: Liegt das auch an der Systemrationalität? Orte sind austauschbar. Mit den Orten verbindet man eher einen utopischen Raum.

R: Im Grunde genommen kann man das auch beziehen auf die Aggression des Kapitals. Ganz banal. Es ist egal, ob ich eine Produktionsstätte in China oder in Tschechien oder in Deutschland oder weiß Gott wo in der Schweiz habe, es geht nur darum, dass gewisse Koordinaten stimmen, aber die Orte selbst sind egal. Da gibt es im Moment eine gewaltige Umwälzung. In Berlin läuft die Ausstellung Shrinking Cities, wenn man die anschaut, dann kann man sehr viel erfahren über diese Ortlosigkeiten bzw. die Aggression des Kapitalismus, darüber wie z.B. in Russland oder in den USA aus einer zwar unterschiedlichen aber doch korrespondierend Entwicklung heraus ganze Industriestädte innerhalb von kurzer Zeit leer gefegt werden.

K: In Hinblick auf den 11. September haben jüngst Niels Werber und Rudolf Maresch die These aufgestellt, dass sich die Theorien der Ortlosigkeit und Virtualität ad absurdum geführt hätten, zumindest in ihrem utopischen oder kritischen Gehalt.[8] Auf einmal scheint alles terroristisch verwertbar zu sein und es tut sich eine andere Dimension auf. Was hältst du von solchen Thesen?

R: Es gibt von Saskia Sassen, einer Stadtsoziologin, die in New York lebt, mehrere Bücher, in denen sie sagt, es gäbe die Festungen des Kapitals, es gäbe eine gewisse örtliche Struktur, die notwendig sei. Sassen durchkreuzt den Mythos der Virtualität. Natürlich hat sich viel verändert, die Geographien haben sich verändert. Paul Virilio beschreibt das. Es dauert länger von der Banlieue nach Paris zu fahren, als von dort nach New York zu fliegen. Ich hab mit einem Mitarbeiter von Morgan Stanley ein Interview nach dem 11. September gemacht. Der wiederum hat gemeint, dass aufgrund des 11. Septembers eine Strategie entstanden sei, alles aus dem Zentrum hinaus zu verlagern. Ich weiß nicht, wie weit die damit gekommen sind. Man braucht eine gewisse Zentralität, man braucht auch einen gewissen Repräsentationseffekt, aber genau der ist prekär geworden.

B: Hat die Gespensterhaftigkeit der Berater etwas mit der strukturellen Ort- bzw. Heimatlosigkeit zu tun, weil Sie im Grunde genommen immer woanders arbeiten.

R: Ja, so der flexible Mensch im Senett’schen Sinne, der immer rumzischt und das ist eine aggressive Situation, die auch ich als Autorin erleben kann, weil ich auch ziemlich viel unterwegs bin. Das widerspricht basalen Bedürfnissen z.B. nach einer gewissen Kontinuität. Die Berater – im Besonderen die Männer – schaffen das, indem sie heiraten, zwei Kinder zeugen und sich eine pseudo-bürgerliche Existenz, einen Ort schaffen, an den sie wie Seemänner zurückkommen und andocken können. Da gibt es auch eine Reinstallation eines bürgerlichen Modells, es ist ganz klassisch, die Frau arbeitet dann auch nicht, das Modell Gattin.

K: Planst du ein Projekt „Aussteigerhetoriken“?

R: Junk Space beschäftigt sich jetzt mit Leuten, die nicht mehr vor die Tür gehen können, bzw. erstmal Flugangst haben. Die Flugangst war der Aufhänger, quasi als gesellschaftlich akzeptiertes Symptom. Man sollte wissen: Angstformen nehmen gesellschaftlich auch zu, das ist eine Krankheitsform, die neben Depressionen und Alkoholismus steigend ist. Also es handelt sich um Menschen, die Angststörungen bekommen, aber auch aus diesem Leistungsraum kommen. Denn es geht vor allem um Leute, die fest in einer Firma sind und sich den Widersprüchen aussetzen müssen, Personalmanagement usw. Das sind die Protagonisten, die unter Angststörungen leiden, die ein Seminar dagegen machen und das Absurde ist, dass in den Therapien mit extrem verhaltenstherapeutischen Formen gearbeitet wird, die bei den Problemen selbst nur ansetzt und auf schnellstmögliche Effizienz aus ist, also überhaupt nicht auf tiefenpsychologische oder biographische Fragen abzielt. Unter diesen Verhaltenstherapien ist das „Flooding“ besonders beliebt. Ich war in einer Klinik in Münster, die das speziell anwendet, der Dornierklinik, und habe da mit dem Chef der Klinik ein Interview gemacht. Der hat mir gesagt: „Wissen Sie was, ein Straßenkehrer der Flugangst hat, ist nicht krank, nur der Manager, der Flugangst hat, ist krank.“ Es geht also um Funktionalität. Man hat ein Problem und es geht um schnellstmögliche Wiedereingliederung. Und, wie es sich herausstellte, arbeitet auch er mit Techniken, die ich aus der Auseinandersetzung mit der gouvernementalen Struktur kennengelernt habe. Also dieser Anschein, man könne selbst entscheiden und solle Verantwortung übernehmen, wird aber durch die Struktur der Therapie immer weiter gezwungen, sich zu konfrontieren.

Sicher, diese Therapieformen haben Erfolg. Nur wenn jemand eine massivere Störung hat, dann taucht sie wieder woanders auf. Man spricht dann von Symptomshift. Gespenstisch.

[1] Kathrin Röggla: wir schlafen nicht, in: Theater heute, Nr. 3, März 2004, 59-67.

[2] Sven Opitz: Gouvernementalität im Postfordismus. Macht, Wissen und Techniken des Selbst im Feld unternehmerischer Rationalität. Hamburg: Argument, 2004.

[3] Kathrin Röggla: Eine Stimme mit Eigensinn, taz Nr. 6676 vom 14.2.2002, Seite 5.

[4] Alexander Kluge: Theodor Fontane, Heinrich von Kleist und Anna Wilde. Berlin: Wagenbach .

[5] Kathrin Röggla: wir schlafen nicht. Frankfurt am Main: Fischer, 2004, S. 113.

[6] Judith Butler: Hass spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin: Berlin Verlag, 1998.

[7] Kathrin Röggla: Irres Wetter. Frankfurt am Main: Fischer, 2002.

[8] Niels Werber / Rudolf Maresch (Hrsg.): Raum – Wissen – Macht. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002