Vom Lebensgefühl der Untoten

Kathrin Rögglas Roman «wir schlafen nicht»

Wer sein Workload nur durch Quick-Eating und Short-Sleeping schafft, der darf wohl auch auf First-Class-Gewohne bestehen. Dieses Wording, im Vertrauen, fänden sie absurd, aber so reden die Top-Performer, wenn ihnen wohl ist. Und wohl ist ihnen oft im Deutschland der New Economy, zwischen Wachstum und chic gewordenem Downsizing. Die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla hat sich in den Zentralen des aufgeputschten Wirtschaftslebens umgehört. Vierundzwanzig Gespräche hat sie mit seinem Personal geführt und daraus einen Roman kompiliert, der trotzdem keine soziologische Studie ist. «wir schlafen nicht» heisst Rögglas Bericht aus einer formatierten Wirklichkeit: «alles ist proportional zur grösse des eigenen unternehmens».

Eine Messe irgendwo in Deutschland ist der Nicht-Ort, an dem man sich trifft. Ein Sample aus Key-Account-Managern, Senior Associates, Online-Redaktorinnen und IT-Supportern gibt willig Auskunft darüber, wie das so ist, mittendrin im Geschehen. Es herrscht aufgekratzte Gesprächigkeit zwischen Jubel und Jammer. In einer Art Register werden die Stichworte einer Lebensökonomie abgefragt. Von der «positionierung» über «life-style», «pleiten» und «privatleben» führt Kathrin Rögglas Recherche bis zu «schock», «koma» und «exit-szenarium». Man wird sich nicht wundern, dass der «wilde workflow» an den Kräften zehrt, dass es bei den «a-personen» betrieblicher Verantwortung mit dem Privatleben im Argen liegt und dass das Top-Management bei Offenlegung der Gefühle zu billiger Sentimentalität neigt. Aber die Maske sitzt. Man belächelt die «startup-bürschchen» und pocht auf «harte bwl», man verkehrt mit der Politik und plant Übernahmen im grossen Stil. Wenn es nicht so läuft, dann kann das nur an persönlicher Disposition liegen. Ja, man kann schon mal ausser Tritt geraten. Es gibt Ängste, Dexedrin und Alkohol. Der «mckinsey-king» schleicht durch die Flure, er sucht nach den Lecks ökonomischer Effizienz, und schon steht man «wie das kaninchen vor der schlange». Man ist drin in diesem «mckinsey- ding». Manchmal braucht's auch weniger, um das System zu verunsichern. Da genügt schon die «praktikantin» des Romans - «gruselfaktor 10» -, die sich von den Gepflogenheiten der Branche nicht beeindrucken lassen will.

Kathrin Röggla hat das Material ihres Buches in indirekter Rede montiert. Der ästhetische Aufwand, der die Interviews verfremdet, baut höchst subtil auch jene Handlungsstränge auf, mit denen «wir schlafen nicht» letztlich doch zum Roman wird. «wir schlafen nicht» kennt Verlierer und Sieger. Ein fataler Sog wird dafür sorgen, dass die Gewinner am Ende den Kürzeren ziehen. Dann herrscht nach all dem sturzbachartigen Geschwätz auf einmal «bürostille»: «da hat sich wohl jemand umgebracht.» «wir schlafen nicht» ist neben allem anderen ein Zombie-Roman. Sein Titel ist nicht nur ein Verweis auf übermüdetes Management, sondern auch auf die Untoten, die selbiges bevölkern. Dass am Ende tatsächlich einer stirbt, ist eine Ironie des Romans, die genügend mit dem Ernst des Lebens zu tun hat.

Blanker Realismus ist in Kathrin Rögglas Literatur nicht zu bekommen. Ihre Bücher sind so smart wie ästhetisch avanciert. Sie nehmen der Wirklichkeit noch im Anschein der Authentizität die Chance, durch Fakten zu triumphieren. Das verhindert Rögglas brausender Sound, der klingt, als würde er selbst das Gerede der New Economy als Pop-Phänomen darstellen wollen. Manchmal ist das auch zu viel. Da sprechen die Figuren nur noch so, wie die Figuren schon in Kathrin Rögglas beiden ersten Romanen, «Abrauschen» und «Irres Wetter», gesprochen haben. Im Ganzen aber hat der Roman «wir schlafen nicht» aus dem Stoff eine bravouröse Studie prägender Befindlichkeiten gemacht. Er ist ein auf Tempo geschnittenes Kunststück, das zeigt, wie nahe Rast- und Ratlosigkeit beieinander liegen.

«ach, keine journalistin? was dann?», fragen die Interviewten die Autorin am Beginn des Romans. Ja, was dann? Während Kathrin Rögglas Generation gerne über geglückte Ost- oder Westkindheiten schreibt oder sich in sonstigen Wehmutsattitüden gefällt, beruft sich die österreichische Autorin auf Hubert Fichte oder Alexander Kluge. Dass physische und psychische Präsenz allein noch keine gültige Gegenwart abgibt, hat Kathrin Röggla so gut wie kaum jemand sonst verstanden. Ihre Ethnologie mag das quirlige Pendant zu Alexander Kluges langsamer Lakonie sein, die von deutschen Verhältnissen erzählt, aber sie ist ein beeindruckender Versuch, die zunehmende Virtualität des Lebens ästhetisch zu reflektieren. Vielleicht wär's das ja: den «fake reports» der Welt mit den Mitteln der Literatur zu misstrauen. Und der McKinsey-King bleibt hübsch zu Hause. Paul Jandl

Kathrin Röggla: wir schlafen nicht. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2004. 224 S., Fr. 33.40.

Quelle: www.nzz.ch