Interview mit Kathrin Röggla am 30. März 2001 in Weikersheim

Interview von uli rüdenauer und charlotte prombach, märz 2001

Frage: „ja, hört ihr mal alle her da unten in austria, felix oberquatsch austria, wir haben da oben den durchblick, da könnt ihr mit eurem vienna einparken, das ist oberlangweilig dagegen, in berlin geht die post ab, und zwar doppelt. oder so“, heißt es in Ihrem Roman „Abrauschen“. Sie kommen gerade aus Wien, haben den Kommunalwahlkampf miterlebt, wohnen aber ansonsten in Berlin. Wo geht denn nun die Post ab?

Röggla: So einfach ist das gar nicht zu sagen. In Wien ist zumindest der politische Feind im Moment sichtbarer als in Berlin. Und es kann sich zur Zeit eine Menge Widerstand organisieren, es ist sehr einfach, eine Allianz der Empörung zu bilden. Im Umfeld dieses Widerstands passiert eine Menge. Was die „Post“ ist, die - wo auch immer - abgehen soll, bleibt natürlich die Frage. Meiner Ansicht nach hat sich das sehr verändert. Dieser Spruch kommt ja aus "Abrauschen", einem Buch, das ich 1995 geschrieben und 1997 veröffentlicht habe. Damals war die Situation noch ziemlich anders. Ich habe den Eindruck, dass in Berlin in den letzten zehn Jahren sukzessive eine Einbetonierung der Stadt und der dort vorhandenen Möglichkeiten stattgefunden hat. Das betrifft die Konstruktion von Berlin als Hauptstadt und als europäische Geschäftsmetropole. Man kann dies an der Architektur ablesen, man kann es aber auch an sozialen Verteilungen beobachten. Die ganzen Nischen im Bereich der Kunst oder Subkultur sind immer weiter zurückgedrängt worden.

Frage: Ist der Cyberspace dann möglicherweise eine Art Ausweichort?

Röggla: Es gibt schon Möglichkeiten, die durch das Internet neu entstehen. Doch der Schluss, Cyberspace sei reiner Cyberspace und habe nichts mit dem Realräumlichen zu tun, ist Unsinn. Z.b. kann es schon sein, dass sich Dinge im Netz entwickeln. Damit sie aber weiterbestehen können, ist es wichtig, dass sich die Leute – ob Schrifsteller oder Künstler – treffen. Es gibt zig Medienfestivals, wo sie sich dauernd begegnen, auch weltweit. Man kennt sich.

Frage: Sie haben selbst in „Pool“ geschrieben.

Röggla: Ich habe dort in genau sieben Tagen mit Lothar Späth zusammen die Welt erschaffen. Was ich da gemacht habe, hat nichts mit meiner Literatur zu tun. Ich habe nicht Texte von mir reingestellt, sondern ausschließlich mit Zitaten gearbeitet. Mit der dort herrschenden Selbstinszenierung und den ins Netz gestellten Tagebucheintragungen habe ich Probleme. Das hat meistens etwas Schnöseliges. Dabei handelt es sich um so ein Glamour-Ding, wo man versucht, sich selbst als Autor, als Popstar, als Persönlichkeit zu entwerfen und eine Medienfigur zu werden. Es geht dabei weniger um Literatur, auch nicht um Auseinandersetzungen, und schon gar nicht um politische Kämpfe. Aber ich hab da schon länger nicht mehr reingeschaut, angeblich soll ja jetzt da Diedrich Diederichsen schreiben.

Frage: Sie würden also zwischen Texten unterscheiden, die Sie ins Internet stellen und solchen, die Sie in Buchform veröffentlichen?

Röggla: Für mich ist das Internet nicht nur ein Raum. Und dann gibt es unterschiedliche Formen, mit dem Digitalen umzugehen. Eine Möglichkeit war eben, den Hypertext „Nach Mitte“ zu machen. Wiederholen würde ich das allerdings nicht wollen. Das Netz ist kein Ort für Literatur. Am ehesten taugt es wohl noch für das, was beispielsweise Rainald Goetz mit „Abfall für alle“ gemacht hat, oder möglicherweise als ein internes Verständigungsmedium. Allerdings glaube ich nicht, dass es als Ort für Öffentlichkeit wirklich funktioniert. Mit dem Hypertext habe ich die Erfahrung gemacht, dass ihn niemand wahrnimmt. Das Internet ist nicht der Ort, wo man wirklich liest und nachdenkt. Das Medium erfordert einen schnelleren Umgang. Und es ist auch ein Medium, das schon so ziemlich kommerzialisiert und trivialisiert ist. Internet, das ist der Ort der Domains geworden, und Kunst dient dazu, ihn aufzuwerten, also, man könnte sagen Gentrification im Netz. Es ist schwierig, da noch etwas Interessantes zu machen. Es würde mich reizen, einen völlig anderen Umgang damit zu suchen, einen spielerischen, der das Kunstmäßige nicht so herausstellt. Was ich eine Zeitlang interessant fand, waren Internet-Radio-Geschichten. Zunächst mal kann man unabhängig von Sendern arbeiten, also das starre Prinzip Sender-Empfänger so brechtisch umkrempeln. Doch es funktioniert auch ganz anders als Radio, weil es viel stärker an Bildende-Kunst-Kontexte angekoppelt ist. Internet-Radio hat sehr viel mit Netzkunst zu tun. Und sehr viel mit einer Party- und elektronischen Musikszene.

Frage: Ihre Texte gehen weniger von Figuren als vielmehr von Räumen aus. Durch diese kommen Ihre Geschichten in Gang.

Röggla: Es braucht diese realräumliche Anbindung, sonst ist es nicht wirklich existent. Raum und Raumwahrnehmung ist ein wahnsinnig weites Thema. Ich glaube, dass der Raumbegriff sich im Zeichen von Globalisierung und Cyberspace schon sehr stark verändert hat. Aber im Grunde beinhalten die Vorstellungen vom Cyberspace oftmals eine emphatische Raumbestätigung und nicht eine Entkoppelung. Oder umgekehrt in politischen Kämpfen zeigt es sich, daß diese von konkreten Orten ausgehen oder an konkreten Orten, in konkreten Situationen stattfinden. Man denke nur an die Menschen, die nach Seattle fahren oder nach Washington, um ihren Protest zu zeigen– es braucht dafür einen konkreten Ort.

Frage: Und die Räume wirken dann zurück auf die Sprache?

Röggla: In "Irres Wetter" habe ich den Raum sehr komplex aufgefasst, als reale Situation – und Situation ist überhaupt ein guter Begriff, man denke nur an den Situationismus. Es geht bei der Situation immer um ein Bündel an sozialen Beziehungen, an Sprechweisen, an Architektur, an politischer Situation, Geschwindigkeiten und eben einer konkreten Räumlichkeit. Ein Ort ist nicht einfach nur der leere Raum, die Architektur, sondern all das, was dort stattfindet. Und dazu kommt natürlich das, was im Buch als Gegenmodell funktioniert: rhetorische Topoi oder rhetorische Raumkonzepte, Topologie. Diskursschichten lassen sich ja durchaus auch räumlich definieren. Sprachliche Orte sozusagen.

Frage: Sie zeigen verschiedene Diskurse und ihre Phrasenhaftigkeit.

Röggla: Es geht natürlich noch einen Schritt weiter. Ich mache da keine 1:1-Übertragung. Es ist eine Art Verdichtungsarbeit. Situationen sind nicht neutral aufzufassen; man blickt darauf von einer gewissen Richtung her.

Frage: Und hat auch eine gewisse Absicht?

Röggla: Ja, klar. Es gibt keine neutrale Situation, es gibt keinen neutralen Blick, das ist ja ein alter Hut. Mir ging es darum, einer gewissen Inszenierung der Stadt Berlin und vieler anderer Städte in Europa etwas entgegenzusetzen: die Perspektive einer anderen Stadtwandlung, die nicht auf Events setzt, nicht auf Zentralisierung, nicht auf New Business und auf Neue Mitte. Was gerade stattfindet, hat ja etwas sehr Ideologisches. Schaut man genau hin, merkt man, dass im Stadtteil Mitte 50 Prozent der Leute weggezogen sind, weil sie sich die Mieten nicht länger leisten können. Das sind Rentner und Rentnerinnen und sozial Schwächere. Im Prenzlauer Berg geschieht genau dasselbe, da handelt es sich sogar um 60 Prozent. Und dann fragt man sich, wer denn am Potsdamer Platz baut? Daimler Benz und Sony zum Beispiel, Konzerne, die billig an die Gelände gekommen sein sollen und am Ende noch subventioniert werden, aus den berühmten Standortgründen. Die Industrie wird ja ständig alimentiert, nur spricht man davon nicht. Man spricht eher von den faulen Arbeitslosen, die dem Staat auf der Tasche liegen. Und die wohnen in Berlin in Stadtteilen wie Neukölln, wo ich jahrelang lebte, die in der Öffentlichkeit negativ besetzt werden. Da sollen ja lauter Gangs rumlaufen, und die türkische Überfremdung soll überhand nehmen. Da findet eine Stigmatisierung von Vierteln statt, die real sehr wohl mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben. Aber die Frage, wer für die soziale Situation und die Arbeitslosigkeit verantwortlich ist und wie damit gesellschaftlich umgegangen werden kann, wird nicht gestellt. Zur Ideologie der Neuen Mitte gehört eben auch, dass das Problem auf den einzelnen Arbeitslosen abgewälzt wird: Der ist an seiner Misere selber schuld. Dieses Klima ist sehr spürbar und sehr absurd. In meinen Texten erscheinen diese Themen natürlich nicht ungefiltert. Die sozialen Veränderungen sind aber eine Motivation, auf eine gewisse Weise auf die Stadt zu schauen.

Frage: Und die Geschwindigkeit der Veränderungen findet sich in Ihren Texten wieder.

Röggla: Zunächst denke ich mal, dass Literatur grundsätzlich etwas mit Geschwindigkeit zu tun hat. Texte sind rhythmische Gebilde und haben ihre Zeit. Unsere Lebenswahrnehmung ist geprägt von ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Das erleben wir alle, egal wo wir sind, ob wir in einem Kino arbeiten, die Zeit absitzen müssen und eine Verlangsamung empfinden oder ob wir dann plötzlich rausgehen und eine Beschleunigung erleben. Es sind also solche Alltagserfahrungen, die Zeit strukturieren. Moderne Literatur hat immer mit verschiedenen Tempi gespielt. Das ist kein Phänomen der 90-er. Diese Techniken, die mich immer schon sehr fasziniert haben, sind historische Avantgardetechniken. Dabei wird nicht unbedingt von einem souveränen Bewusstsein ausgegangen, sondern von einem, das diesen Erfahrungen unterschiedlicher Geschwindigkeiten ausgesetzt ist. Wenn man Jean Paul liest, findet man ebenfalls dieses Spiel mit Geschwindigkeiten. Er verwendet bereits Techniken, die sehr modern wirken und genausogut aus dem 20. oder 21. Jahrhundert stammen könnten. Wenn heute von neuem Erzählen gesprochen wird, erhoffen sich Agenten, Verlage und Kritiker ja gerade, dass solche Wechsel nicht vorkommen, dass alles ästhetisch gesehen einigermaßen bruchlos abgeht. Eine ästhetisch glatte, heile Welt. Tempowechsel können ja anstrengend sein und anstrengend darf die Literatur des neuen Erzählens nicht sein. Aber es geht ja gerade um die Wechsel, es geht nicht um eine alleinige Beschleunigung oder das Klischee von Geschwindigkeit. Es ist schließlich eine Leidenserfahrung, dieses ständige Hin und Her mitzumachen.

Frage: Es scheint nicht nur ein Geschwindigkeitsklischee in vielen zeitgenössischen Texten zu geben, sondern auch ein Gegenwartsklischee. Es genügt dann zum Beispiel nachzuerzählen, wie es letzte Woche in der Disko war.

Röggla: Mir ist es unverständlich, wie man heute hergehen und schreiben kann: Ich war letzte Woche in der Disko, und es war so geil. Überhaupt dieses rein inhaltliche Verständnis von Pop. Vielleicht bin ich da von den 80-er Jahren geprägt. Für mich gibt es immer noch eine Reibung zwischen Bewusstsein, Sprache und Medien. Ich weiß nicht, was mich an einer scheinbar reinen Nacherzählung der Gegenwart interessieren könnte. Da wird so getan, als ob Bewußtsein und Erfahrung eine homogene Sache sei, also da habe ich häufig das Gefühl von Verlogenheit– ästhetischer Verlogenheit um mal von einer moralischen Seite zu kommen. Wenn Texte aufgrund ihrer politischen Bedingtheit eine Erfahrung mitteilen und dafür eine einfache Sprache zu finden versuchen, die nicht weiter reflektiert wird, würde ich es vielleicht noch eher akzeptieren, aber wenn ich diese Lifestyle-Geschichten sehe, weiß ich nicht, was das eigentlich soll.

Frage: Und warum schreibt Kathrin Röggla? Gab es einen Moment, an dem Sie sich dafür entschieden haben, dass die Sprache Ihr Medium ist?

Röggla: Ich habe eigentlich mit dem Theater angefangen. Vielleicht habe ich deshalb diese Kämpferhaltung. Ganz am Anfang habe ich zwar gespielt, aber dann hat es mich schnell auf die Seite der Schreibenden getrieben. Die Sprache war dementsprechend schon sehr früh als Mittel und Möglichkeit da. Mit 17 bin ich in eine Literaturwerkstatt in Salzburg gegangen. Es gibt da das Toi-haus, ein Off-Szene-Theater. Man hat sich dort einmal die Woche getroffen, anonym Texte verteilt und anschließend darüber diskutiert. Das habe ich ein Jahr lang intensiv gemacht, eine wichtige Schule. Ich habe dort auch Leute kennengelernt, die eine Literaturzeitschrift herausgegeben haben, in deren Redaktion ich dann mitgearbeitet habe. Und irgendwann gab es auch diesen Abend mit einem Salzburger Lektor, der mir schwer zugesetzt hat: „Was willst Du denn eigentlich? Studierst jetzt oder schreibst?“

Frage: Und am nächsten Tag sind Sie von der Uni abgegangen?

Röggla: Ich habe die Uni weitergemacht, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ist für mich immer wieder eine spannende Sache und ist keine Sache, die ich als Widerspruch zum literarischen Arbeiten empfinde.

Frage: Ändert sich das eigene Schreiben, wenn man sich als Literaturwissenschaftlerin mit Texten beschäftigt?

Röggla: Ja, ich denke schon. Das ist notwendig, um ein bisschen Abstand zu bekommen und die Dinge anders zu begreifen. Aber ich lese nebenbei auch andere theoretische Texte und schreibe meine Bücher nicht einfach aus einer persönlichen Erfahrung heraus. Bei "Irres Wetter" war das beispielsweise Literatur zum Thema Urbanismus-Kritik.

Frage: Welche anderen Schriftsteller sind für Sie wichtig?

Röggla: Das ändert sich von Buch zu Buch. Bei "Irres Wetter" war es ganz klar Hubert Fichte. Das ist besonders im Hinblick auf die Raum- und Ortsfrage sehr interessant, da Fichte nicht nur in seinen Reportagen ebenfalls sehr stark von Orten ausgegangen ist. Aber auch jemand wie Elfriede Jelinek oder Arno Schmidt sind für mich von großer Bedeutung. Witold Gombrowicz war für "Abrauschen" eine Anregung. Es gibt bei jedem Buch literarische Paten und Patinnen. Aber auch Autoren, die immer wieder auftauchenwie Alexander Kluge, den ich sehr schätze.

Frage: Hier sind einige Charakterisierungen Ihrer Texte, die in der Kritik aufgetaucht sind: „unverstellt autobiographischer Gestus“, „supernervöse Prosa“ und „kalter Blick“. Was halten Sie davon?

Röggla: „Unverstellt autobiographischer Gestus“ – das ist schon heftig. Jede Schriftstellerin hat mit solchen Zuschreibungen zu kämpfen, eine tückische Sache: Autorinnen wird ja immer wieder unterstellt, sie könnten nur über sich schreiben. Auf der anderen Seite kann ich es auch ein bisschen nachvollziehen, weil ich über Berlin geschrieben habe und dort lebe. Aber würde man das bei männlichen Autoren auch sagen, bloß weil sie irgendwo leben? Mich macht das immer ein bisschen ärgerlich. „Supernervös“ – da kann ich schon eher etwas mit anfangen. Aber ich weiß auch nicht, was es taugt, Nervositätsgrade als Kriterium für Literatur anzugeben.

Frage: „Kalter Blick“?

Röggla: Ah, schön! Aber ich weiß nicht... Der Begriff funktioniert schon mal rein technisch nicht, weil mein Schreiben viel mit Satire und einem ironischen Gestus zu tun hat. Und ein ironischer Gestus ist niemals ein kalter Blick. Das kann ich also ganz technisch abbügeln. Trotzdem gefällt's mir irgendwie ... Das hätte ich gerne: Medusenblick...

Frage: Sie haben kürzlich den Italo-Svevo-Preis erhalten. Wie wichtig sind solche Anerkennungen?

Röggla: Also Italo Svevo ist schon eine Ehre, und es wäre kokett zu sagen, dass Preise keine Bedeutung fürs Weiterschreiben hätten. Natürlich ist der Antrieb aber ein anderer: Für mich war das Schreiben schon immer so etwas wie ein „Gegen“, etwas, das ich erobern musste, auch etwas Radikales, wenn man so möchte.

Frage: Sind Sie mit der Rolle, die Sie im Literaturbetrieb spielen, zufrieden? Das Etikett "Fräuleinwunder" ist Ihnen ja erspart geblieben.

Röggla: Was man heute unter einem Schriftsteller versteht und auch der Begriff des „Fräuleinwunders“, das irritiert mich beides doch sehr. Gemeint ist damit jemand, der Zeitgeist als Ware feilbietet, aber nicht jemand, der ästhetisch oder politisch agiert. Deshalb bin ich momentan ganz glücklich, auch andere Bereiche zu haben, wo ich Dinge ausprobieren kann. Insofern bin ich zufrieden mit der Rolle im Literaturbetrieb, in dem ich ja nicht so eine wichtige Position einnehme. Allerdings finde ich das Ganze auch sehr unübersichtlich: Man weiß überhaupt nicht, wie man in welchem Kontext funktioniert, was eigentlich mit einem passiert.

Frage: Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, mit Musikern etwa?

Röggla: Ich finde es spannend, so eine Gegenmusikalität zu haben. Mit Franz Tröger habe ich einen Auftritt gemacht. Er hat ein ganz eigenartiges Instrument erfunden, ein Zungenschlaginstrument. Es funktioniert über Computerlochstreifen und Drehbewegungen. Ich fand die Ungleichzeitigkeit sehr schön. Prinzipiell hat die Zusammenarbeit auch etwas Heikles: Man muss unbedingt eine Gleichberechtigung herstellen. Eigentlich ist es mir lieber, mit einem Musiker aufzutreten, weil ich mich da nicht selber darstellen muss, nur ein bisschen noch. Ich finde reine Lesungen sind eine komische Sache, eigenartige Inszenierungen von Authentizität. Zudem wird heutzutage immer mehr eine Art Popstarkonzept erwartet. Mich interessiert es dagegen, mit unterschiedlichen Formen zu spielen, die Möglichkeit zu haben, mit anderen zusammen etwas auszuprobieren. Im Moment bin ich am Herumtüfteln, und ich merke, ich mag mich nicht in einer Position ausruhen, das interessiert mich nicht. Ich möchte nicht die Großautorin spielen. Genauso problematisch aber: Wenn ich zu viel mit Konzeptkünstlern zugange bin, kann mir das auch irrsinnig auf den Nerv gehen. Literatur ganz für sich genommen ist eben auch schon Kunst ...

Frage: ...und muss auch ganz schlicht als Text im Buch funktionieren.

Röggla: Genau.

Frage: Gibt es denn schon Pläne für ein neues Buch?

Röggla: Ich sitze gerade dran. Ich habe mich in der letzten Zeit intensiv mit dem Begriff der Arbeit beschäftigt. Ich gehe von Arbeitssituationen aus beziehungsweise von Arbeitslosigkeitssituationen. Auch der Medienbetrieb wird eine gewisse Rolle spielen, einerseits dieser Druck, der durch die Konzentration von Unternehmen – auch bei Verlagen – entsteht, und andererseits das Outsourcing, so dass Leute immer mehr in flexiblen Positionen gehalten werden und einen ständigen Kampf austragen müssen. Auch wenn ich nun stärker von den Figuren ausgehen werde, interessiert mich doch weiterhin, wie gesellschaftliche Verhältnisse Strukturen bilden, aus denen der einzelne schwer heraus kann.