abrauschen

textbeispiel 2

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ich mußte raus aus dieser stadt, soviel war sicher!

alle reden von berlin, doch was soll das sein. ich meine, wo gibt’s noch sowas. ich für meinen teil behaupte, es gibt kein berlin, es gibt nur neukölln. ich muß es wissen, habe ich mich doch einige zeit herumgetrieben, doch gleich, was ich tat, immer fand ich mich in neukölln wieder. besonders in letzter zeit landete ich nur noch in einem dieser schubladenräume, die stufenlos zu bedienen sind: schreibtisch-bett, das waren die einzigen positionen, die mich dort gefangen hielten. und draußen lag dann die stadt da wie ein langer bart, eine eins-zu-eins-stadt, wie es immer heißt, nicht kleinzukriegen, immer einen schritt weiter, immer schon auf und davon, da kommt man einfach nicht nach. von meinem fenster aus zu sehen war aber nichts davon, nur das billigleben der tauben im gegenüberhaus, das abgebrannt war vor einem jahr und dessen fenster mit plastikplanen verdeckt keinen einblick gewährten. warmer abriß, hatte die frau unter mir einmal gemeint und war wieder weitergezogen mit ihrem spulwurm an hund durch die gänge und treppenhäuser, um alte katzen aufzuscheuchen oder vergleichbares getier, warum sonst sollte sie sinnlos durch hinterhof und keller streunen und ein lachen loslassen, wie man es nur aus tierfilmen kennt. dabei ist die sicher noch unter 30, kaum zu glauben, kein anstand, wie hier die leute abdrehen, kaum sind sie aus dem einen pflegealter heraußen, stürzen sie sich schon in das nächste hinein. wie oft hatte ich die im jogginganzug vorüberrauschen gesehen, immer ihren hund mit dabei.
ja, dieser stadtteil drückt einen schon kräftig nach unten mit seinen windschiefen omas, die in der karlmarxstr. vor dem tschibo stehen und nicht loskommen von ihm. „die dauerwelle nicht ganz in den toaster gekriegt oder was!“ möchte man ihnen zurufen, doch vorher schon drehen sie sich plötzlich her und sehen einen durch lange augen an, dahinter ist nur haut versteckt, „nur haut, ich weiß“, sagt man sich dann, „die beißt nicht“, sagt man sich dann und geht schnell weiter an den wäschekörben vor den geschäften mit plastikspielzeug, einwegpuppen und zubehör aus grauer vorzeit. alles erste sahne, kann man auf dem schild daneben lesen, alles erste sahne auch das, was sich hinter den glasscheiben abspielt, da kann man das klimpergeld losgehen sehen, den ganzen schrott, den die banken nicht freiwillig nehmen, den kann man hier loswerden. man wird dabei rufen: „ach, hier gibt es ja noch richtiges glühbirnenlicht, und die geschäfte haben noch einen verwandschaftsgrad.“ doch diese anwandlung wird nur einen kurzen moment dauern, dann geht man wieder vorbei an der katzenmusik an häusern, zurück in die wohnung im hinterhaus 2. stock, schließt die tür ab und atmet auf. geht in zimmertemperatur verloren, während man die post öffnet und schon vorsichtshalber zu fluchen beginnt.

die straße ist eben länger, als man denkt, sie ist keine umhängetasche, die man fortwirft, weil sie einem zuviel wird, und dann ist man sie für immer los, nein, immer wieder muß man durch sie durch, und am ende hat nur der anrufbeantworter sein leichtes spiel gehabt. so jedenfalls ging es einen ganzen winter lang, und noch immer war winter und würde es auch bleiben, wie ich gestern unzweifelhaft feststellen konnte, dennoch fielen kleine lichtstreifen die eine wand entlang, als tapete zog sich mein blick darüber: nichts wie raus hier.

aber das dachten sich wohl alle hier, und nur der typ, der einen stock über mir wohnte, dieses i-tüpfelchen des allgemeinen zustands, hatte sein mittel dagegen gefunden. entweder er ließ die countrymusik laufen, oder die flaschen über den boden, immer aber trommelte er mit den fingern gegen ein glas, dann trommelte der flascheninhalt in seinem kopf, das übertrug sich dann auf die wände und ging durchs ganze haus. echoeffekt oder was, fragte ich mich dann einen stock tiefer um vier uhr morgens, die vorstellung nicht aus dem kopf kriegend, daß irgendwo der schalter sein mußte, mit dem man das ganze abstellen konnte.

in diesen tagen ist ja jedes untier vorstellbar geworden, das plötzlich in die stadt einbricht und dasteht hundert meter hoch, die leute heben dann kurz an ihren köpfen, atmen an, und schon wieder ist etwas zur gewohnheit geworden. warum nicht einfach eine plastikplane über das ganze werfen, sich dann umdrehen und weggehen: ja, warum nicht wirklich abhauen? schlug ich also jo an jenem morgen vor, wenn man es sich so recht überlegte, sollte man doch wirklich einfach weg, auch wenn kein historischer moment, sich einfach hineinlegen in ein schnell hingezaubertes genick landschaft, immer die superpritsche im herzen, immer mit dem kopf voll durch den frühling, doch stop!stop!stop! rief er, da bliebe noch die eine frage nach der zeit und die andere nach dem geld -

er hatte recht. kaufen macht spaß, kann man ja schon jedem x-beliebigen tekknoblättchen entnehmen, und heimsuchung ist still sitzen müssen und nachdenken, was nun werden soll, und nichts anderes habe ich getan die letzten wochen. allmorgendlich bin ich in der u-bahn gesessen, allmorgendlich war ich da durchgestiefelt durch die eiseskälte hinüber zur s-bahnstation, wo sie dann alle standen, die ottonormalverbraucher, die robotniks, da schon nichts als die aufgespießten schmetterlinge, die sie eine halbe stunde später wohl alle ohnehin sein würden in ihren büros und lagerhallen. so saß man bemüht auf seinen augenbrauen, ließ sich lieber in die schlagzeilen des kickers oder der bildzeitung verstricken, als den hallelujatypen zuzusehen, die in der station schon ihre hände ausgebreitet hatten und auf einen zugerannt kamen, dabei lachten und irrsinniges zeug redeten. ja, das war ein richtiger malboroaufenthalt in so einer allmorgendlichen u-bahn, nur die härtesten hielten da durch, die meisten stiegen schon in wilmersdorf aus richtung sicherer arbeitsplatz, kaum einer wollte durchfahren mit diesen gestalten bis nach dahlem, wo die faust auf dem auge haust.
denn ein rechtes mumintal ist da gewachsen mit schön viel beispielen für angewandtes leben, wie es in die sonnenbräune eingeht ohne wiederzukehren, an dem stiefelte ich jeden morgen vorbei, bis ich ankam in der rostlaube, bei der studentischen arbeitsvermittlung. dort wartete man in unangenehmer stückzahl, zog auf die schnelle, wenn es hochherkam, eine nummer 38, schiß auf das gesamte losverfahren in der arbeitsbeschaffung, trank noch einen kaffee in der mensa und zog wieder ab. auf dem rückweg konnte man dann schon menschen beim hundeäußerln antreffen, richtung einkauf unterwegs die hausfrauen, die zwischen ihren vorgärten und verbrauchervillen ein bißchen die zwirbeldrüse hochhielten, nachsahen, ob was drunter lag, wenn ja, beim nächsten kerzenlicht sich verschlucken würden, aber selbst dabei aufs durchschnittstempo achteten, ich wußte es auch nicht, mehr schon der kleine, dem jetzt langweilig wurde, denn noch immer stand man am fenster und überlegte, was zu tun sei.

doch sind wir nicht die erbengeneration, fiel mir plötzlich ein, die erbengeneration ohne zweifel, so sagen sie doch alle immer, die erbsengeneration und nichts anderes, ansonsten wird ja dichtgemacht rundum, man kann das sehen, man kann das hören, nur die eltern sind steinreich und wissen noch am rädchen zu drehen, während den jungen nichts übrig bleibt, als des weges zu kollern. - ja, genau! rief der kleine dazwischen, wurde aber mit einem „klappe halten!“ abgefertigt, denn schon war jo dabei, zum telefon zu stürmen: ganz made im speck ist das, was wir jetzt vertreten! - und war schon verschwunden, seine eltern anrufen.

wenn man ein erbe hat, dann braucht man sich nicht vierteilen, man holt es einfach ab, und nichts anderes hatte ich vor, doch kann man unmöglich alleine kommen, quasi mit leeren händen, da muß man schon was mitbringen, irgendein kind beispielsweise, und irgendein kind ist ja auch mit von der partie, nennen wir es wolf jobst siedler, quatsch, nennen wir es jan.
- schorschi.
- nein, jan. jan ist also auch dabei, und ich kann ihm jetzt zusehen, wie er wieder sein flugzeugquartett in alle möglichen richtungen ordnet, wie er plötzlich fragen stellt, von wegen, wann wir denn endlich ankommen und was wir denn dort alles machen würden?
ich könnte ihn einfach mitnehmen, muß ich mir wohl gesagt haben, ich könnte in zusammenhängen mit ihm auftauchen, er könnte direkt mein vater sein, hat er aber darauf bloß gesagt, direkt mein vater, so frech war er, man stelle sich vor.