unsere gesamtgesundheit

rede zum italo-svevo-preis 2001

sehr geehrte damen und herren,

für den heutigen abend habe ich mir zweierlei vorgenommen: ich werde über geld reden und versuchen, dabei authentisch zu sein. schließlich muß man schon ein wenig mit sich gleichzeitig sein bei so einer dankesrede, man muß von einer position aus sprechen, quasi eine vollverkörperung durchmachen, was mir zugegebenermaßen ziemlich schwer fällt. denn kaum finde ich mich in einer authentische geste wieder, bzw. finde in diese so halbwegs hinein, gerät sie mir sofort zur künstlichen, die mich auch gleich wieder rausschmeißt. es scheint mir nicht gegeben, in der öffentlichkeit „ich“ zu sagen und dabei auch glaubwürdig zu sein.
diese unfähigkeit ist schicksal, und sie verbindet mich mit svevos zeno cosini. zeno hat ständig das problem, daß man ihm nichts glaubt, zwischen ihm und der welt scheint eine ironische distanz eingezogen, man könnte sagen, es besteht da eine art lächelpakt. man lächelt ihm zu, und er lächelt zurück. dazwischen passiert allerdings eine menge.

als handelskaufmann sieht er sich nicht selten vitalen geschäftsmännern gegenüber, einem typus mensch, der besonders zu seiner zeit geradezu inflationär aufgetreten sein muß. auch heute sind exemplare dieses typus hin und wieder anzutreffen, und man wird in ihnen durchaus gesprächspartner finden, die in ihre rede hie und da einen witz einflechten, da müssen sie noch nicht mal die berühmte heiterkeit gepachtet haben, doch selbst wenn, werden sie deswegen noch lange keine lachnummern abgeben. diese geschäftsmänner glauben jedenfalls an das, was sie tun, und lassen es an pragmatismus nicht fehlen. die welt gehört ihnen, ist schnell zu erahnen, doch svevo zeigt, daß das durchaus nicht und schon gar nicht auf dauer der fall sein muß. ja, und zunächst kann man das für einen trost halten, auch diese scheitern letztendlich als eingebildete gesunde, wie zenos schwiegervater, der den eigenen tod nicht einkalkulieren kann in die ewigkeit ökonomischer rationalität, oder als spekulanten, wie sein schwager guido, der in seinem hybriden glauben an sich keine möglichkeit zu einer korrektur hat, weil er an dem einmal eingenommenen kurs starr festhalten muß. ihre selbstgewissheit nimmt wahnhafte züge an in zeiten, in denen keine einwandfreie identität möglich scheint angesichts der strukturellen gesellschaftlichen veränderungen, bzw. keine selbstgewissheit angesichts des wirtschaftlichen systems, das auf mehrwertproduktion und profitmaximierung basiert.

doch wie damit umgehen? mit welcher haltung soll man dem begegnen? mit gelassenheit, wird nicht selten suggeriert. gelassenheit oder heiterkeit, die berühmte heiterkeit zenos beispielsweise, oder eine zwanghaftere variante davon, wie man sie heute allzuoft antreffen kann. man findet sie beispielsweise in der rede über die eigene arbeit. arbeiten, ohne angestrengt zu wirken, gilt heute als wert, als motto der stunde. ja, arbeit ist anscheinend nicht mehr mühe, labor, sie ist auch nicht schlichte lohnarbeit, sondern sie macht spaß oder hat spaß zu machen. anscheinend kann man sich selbst dabei entdecken, seine kreativität voll ausschöpfen, so hörte man zumindest bis vor kurzen auf allen kanälen. „der spaßfaktor der arbeit ist schon wichtig.“ hat da noch jeder firmengründer jeder e-klitsche in jedes fernsehen hineingesagt, das er gefunden hat, „um seine leute zu halten“. kurz danach war die welt nicht mehr so spaßig, allerdings voll von firmengründern, selfmademen, menschen, die lieber ihre welt erfinden als sie dann auch ausbaden. die schöne souveränität agierender geschäftsmänner, die man so gerne sieht im startupdeutschland, wie es über unseren köpfen gerade zusammengeschlagen ist, ist eben eine prekäre, momenthafte. ja, die schöne souveränität der geschäftsmänner, arbeitsplätze zu schaffen quasi aus dem nichts, schnurrt zusammen in dem kündigungsgeschehen rund um uns. und was bleibt, ist jetzt nicht mehr so sehr die berühmte heiterkeit, als die berühmte fähigkeit zur flexibilität, die von den arbeitnehmern bzw. zuarbeitern abgefordert wird, nachdem die berühmte fähigkeit zur identifikation mit ihrer firma, die oftmals eine entlohnung ersetzen mußte, nicht mehr zu gebrauchen ist.

ja, die welt hat sich verändert: anstelle der verantwortung für die arbeitnehmer ist heute, wie wir wissen, die verantwortung für die aktionäre getreten, ein sozialdemokratischer konsens scheint aufgekündigt, aber, verstehen sie mich nicht falsch, mit moral allein ist dem nicht beizukommen. nur manchmal nimmt das groteske züge an, man könnte direkt meinen, die einzige verbindung zwischen arbeitnehmer und arbeitgeber ist heute der kündigungsbrief, ansonsten ist da nichts. es wird nur noch entlassen - dazu ist der arbeitgeber noch bereit - schließlich hat er eben jene verantwortung gegenüber den aktionären.
die alten fragen: wo findet die wertschöpfung statt, und wie wird der gesellschaftliche reichtum verteilt? trotteln als dinosaurierfragen irgendwo in der kreidezeit der siebziger und vielleicht noch achtziger jahre herum. die kontinuitäten liegen ja auch auf anderen gebieten. z.b. ist arbeit noch immer ausweis unserer identität, sozusagen die berechtigung unserer existenz, trägt nahezu fetischcharakter in der gegenwärtigen gesellschaftlichen situation. in michael hanekes neuem film „code: unbekannt“ erzählen sich arbeitsmigrantinnen von ihren jobs, die sie haben, obwohl sie in wirklichkeit betteln gehen. nur wer arbeitet, lebt wirklich, hat anteil am gesellschaftlichen leben. mit dieser mystifzierung des arbeitslebens als wahrem leben hat auch zeno cosini zu kämpfen. die welt der bilanzen, der doppelten buchhaltung erscheint ihm als die realere welt, die sich in seiner sprache auch als herrschendes paradigma einschreibt, was auch diese seltsame komik erzeugt, wenn zeno in seinem bericht die intimsten gefühle mit geschäftsvokabeln belegt. seine geschäftstätigkeit gilt ihm als gesundmachende tätigkeit, deren ernsthaftigkeit höchstens konterkariert werden kann durch schlachtrufe wie „kauft trockenobst!“ in dem die beliebigkeit der handelsware, also deren ökonomische funktion mit der konkret dinglichen vorstellung zusammenprallt.
doch aus der geschäftsbeliebigkeit muß sozusagen eine geschäftsbeleibtheit werden im leben eines handelskaufmanns, dazu braucht es gelungene geschäfte, sie gelten als rechtfertigung dessen, was man macht. man muß eben daran denken, geld zu verdienen, wie zenos ehefrau augusta in ihrer vorsichtigen frage „aber wann werdet ihr anfangen geld zu verdienen?“ richtig bemerkt, damit man sich überhaupt handelskaufmann nennen darf. zumindest war das zu svevos zeit so, was die handelskaufmänner anbelangt, heute ist es möglicherweise mehr bei den kunstschaffenden der fall. denn so einfach wird einem der status der künstlerischen arbeit heute nicht mehr abgenommen. da kann ich nur von glück reden, daß meine arbeit als solche anerkannt wird. daß ich nicht mehr herumrennen muß und sagen, daß meine arbeit auch eine ist. und mir dann niemand glaubt und sagt: „wann wirst du endlich vernünftig!“ ich habe sozusagen das ökonomische als bestätigung des arbeitscharakters meines tun und schaffens. es ist die gesellschaftliche unterschrift, meine authentifikation als arbeitende. „wenn du geld damit verdienen kannst!“ ist die beliebte antwort, begleitet von einem achselzucken.

geld ist ja überhaupt ein beliebtes thema geworden, kaum mehr ist uns errinnerlich, daß es vor noch nicht allzulanger zeit ein tabu war - geld, über das spricht man eben nicht, sagt heute keiner mehr. seltsamerweise ist aber „kein geld“ immer noch ein tabu-thema. darüber spricht man nun wirklich nicht, und das geht durch alle gesellschaftlichen segmente. wenn arbeit selbst nicht mehr greifbar ist, sprechen wir lieber davon, wie wir unser geld für uns arbeiten lassen. das steht auch auf allen plakatwänden, und wer weiß, wo das noch hinführen wird.
ja, es wird über geld geredet und wie im zeitalter des börsenzwangs - wir hören nicht auf, auf den nasdaq zu starren, auch wenn er längst vorüber ist. ähnlich wie man früher auf das fernsehtestbild gestarrt hat, verzückt, daß da ein bild übertragen wird, erstaunen wir jetzt über technologie-werte, daß es sie gibt. wir staunen, wie sie steigen und wie sie fallen. und wie sie fallen, und wie wieder einmal eine entlassungswelle durch diese oder jene branche geht, und haben nachher schon immer bescheid gewußt. ein gesellschaftsspiel sei die börse geworden, hört man, doch andererseits, wer spielt schon wirklich mit geld? und wenn, was ist das für ein spiel?
das ökonomische gilt jedenfalls als herrschendes paradigma, die welt der waren- und geldströme ist aber nicht mehr nur einfach die tatsächlichere welt, sie hat heute auch das fiktive geschluckt. die phantasie ist sozusagen in die aktien gewandert und dort verschwunden. nichts mehr scheint davon übrig für die literatur, die immer mehr allein zu dem wird, was sie schon war: das schlechte geschäft. zumindest gemessen an dem, was man heute als gutes geschäft bezeichnen würde.

keinesfalls soll hier jeder ökonomisch einigermaßen erfolgreichen belletristik der literarische rang abgesprochen werden, bzw. gesagt werden, daß sie notwendigerweise immer nur schlechte literatur sein kann, nein, es ist ja auch vielmehr der umkehrschluß, dem wir heute aufsitzen. denn, während die kreativität ausgewandert ist aus dem reich der kunst ins reich der arbeit, hat die ökonomische rationalität einzug gehalten in die welt der literatur, sozusagen als oberstes, als herrschendes prinzip. selbst in der wahrnehmung des literaturbetriebs ist ein text dann ein guter text, wenn er ökonomisch erfolgreich ist, und ökonomisch erfolgreiche autoren und autorinnen sind demzufolge auch die wichtigen.
aber wahrgenommen werden ohnehin nicht so sehr deren bücher, sondern ihr auftreten in der öffentlichkeit. oft genug kann man sie auf podien sitzen sehen und dabei beobachten, wie sie versuchen, streitbare diskussionsteilnehmer abzugeben - einige von ihnen mit recht zweifelhaftem erfolg - allzu angestrengt nehmen sie ihre positionen ein, zu sehr sind sie damit beschäftigt, diese auch zu sein, kurz: sie wirken künstlich und kommen nicht eben sympatisch rüber. und kommt man nicht sympathisch rüber, wird das, was man sagt, auch nicht gehört. diese erfahrung kann man eigentlich schon in jeder gesprächsrunde machen, in einem massenmedialen rahmen bekommt sie noch einmal eine andere qualität. die autoren und autorinnen, die es besser verstehen, begreifen diese situation als inszenierung, zu der man besser ironische distanz hält. sie verstehen das format, das man eben auf eine gewisse weise zu bedienen hat, sonst wird man von ihm bedient.

andererseits ist es nicht so, daß man nur noch touristischen umgang mit meinungen treiben kann, nein, es ist auch in unserer sogenannten mediengesellschaft durchaus möglich, authentisch zu sein, wenn man nur daran glaubt - die medien leben ja geradezu davon, und durch sie erst bekommt authentizität ihre warenförmigkeit - doch schleicht sich erstmal das zeno’sche unbehagen ein, ist es aus mit diesem glauben. vielleicht muß es aber auch nicht immer darum gehen, wie wohl man sich in einer inszenierung fühlt, manchmal kann eine situation entstehen, in der es trotzdem notwendig ist, sich zu äußern, egal wie unwohl man sich in ihr fühlt. das klingt paradox und ist es auch, aber mit diesem paradox zurechtzukommen, darin konnten viele meiner kollegen und kolleginnen im letzten jahr sozusagen einen schnellkurs ablegen.
wie sie wissen, komme ich aus einem land, in dem der rechtspopulismus seit einiger zeit die art und weise bestimmt, wie öffentlich gesprochen wird, bzw. die einsätze des öffentliches diskurses vorgibt. ressentiments werden bedient, unterstellungen gemacht. man wirft kritikern dieser situation, darunter vielen kunstschaffenden, vor, sie seien hysterisch und würden symbolisches kapital aus der sache schlagen. ich muß sagen, ich finde den vorwurf äußerst erstaunlich. aber es ist natürlich klar, daß die sprache der macht, die, die sich auf die mehrheit beruft, niemals kapital schlägt. das tut allein die minderheit. und das, was sie sagen, braucht man ja dann auch nicht zu hören, weil es bloßes kapitalschlagen ist. und umgekehrt ist das, was politiker meines landes sagen, dann nie so gemeint, wie es wahrgenommen wird, denn das seien faschingsspäße, wird gesagt.
ich frage mich, wie es zu dieser situation gekommen ist, die mit sogenanntem demokratischen umgang wenig zu tun hat. es ist zu beobachten, wie sich die öffentlichkeit an dieses chauvinistische sprachverhalten und an rassistische, ressentimentgeladene aussagen zu gewöhnen scheint, schritt für schritt, über jahre hinweg verläuft dieser prozeß, in dem alles hoffähig zu werden droht, was ausgrenzung von minderheiten und von sozial schwachen betrifft. ich glaube zwar, daß diese situation in ihrer deutlichkeit, wie es so schön heißt, österreichspezifisch ist, doch es ist hier wohl allen klar, daß auch hierzulande dieselben mechanismen bedient werden, und daß die politik der angst und des neides auch in deutschland wählerstimmen bringt, chauvinistische werte als versprechen gegen die neoliberale verunsicherung taugen.

italo svevo hat sich mit ähnlichen mechanismen auseinandergesetzt, und nicht nur mit den mechanismen, auch mit der ignoranz und der hilflosigkeit ihnen gegenüber. sein zeno cosini wird letztendlich von den historischen ereignissen überrascht, er findet sich plötzlich im krieg wieder. einem krieg, der, wie er sagt, eine veränderte wirtschaftliche situation erzeugt, die es ihm ermöglicht, durch eine neuartige handelstätigkeit gesund zu werden. das grauen, das von dieser gesundheit ausgeht, seiner gesamtgesundheit, wie zeno sagt, einer gesundheit, die sich quer durch das letzte jahrhundert erstreckt, und mit der wir umgehen müssen, das grauen dieser normalität sichtbar zu machen, das ist mir ein anliegen und ich denke, in svevo habe ich darin einen verbündeten.

und wenn ich jetzt von hier aus, ermächtigt durch wilhelm genazino, durch das preiskuratorium und durch die geldgeber, svevo öffentlich grüßen darf, wofür ich sehr dankbar bin, hoffe ich, daß sie mir glauben werden.

dieser text wurde in der frankfurter rundschau und in den akzenten 3/2001 veröffentlicht